Physiknobelpreis 1972: John Bardeen — Leon N. Cooper — John Robert Schrieffer

Physiknobelpreis 1972: John Bardeen — Leon N. Cooper — John Robert Schrieffer
Physiknobelpreis 1972: John Bardeen — Leon N. Cooper — John Robert Schrieffer
 
Die amerikanischen Physiker erhielten den Nobelpreis »für ihre gemeinsam entwickelte Theorie der Supraleitung, die BCS-Theorie«.
 
 Biografien
 
John Bardeen, * Madison (Wisconsin) 23. 5. 1908, ✝ Boston (Massachusetts) 30. 1. 1991; Wechsel zwischen Universität, Industrie- und Regierungslabors, 1947 Entwicklung des Transistors zusammen mit Brattain und Shockley (Nobelpreis 1956), 1951-75 an der Universität von Illinois in Urbana; Hauptarbeitsgebiete Tieftemperatur- und Halbleiterphysik; bislang einziger Wissenschaftler mit zwei Nobelpreisen auf einem Gebiet.
 
Leon N. Cooper, * New York 28. 2. 1930; ab 1958 an der Brown University, seit den 1970er-Jahren Forschungen über Bewusstsein und Gedächtnis.
 
John Robert Schrieffer, * Oak Park (Illinois) 31. 5. 1931; Lehr- und Forschungstätigkeit an mehreren US-Universitäten, seit 1992 an der Universität von Florida und der Florida State University sowie Chefwissenschaftler des nationalen Hochfeldmagnetlabors; Hauptarbeitsgebiete neben der Supraleitung: Magnetismus, Legierungen und Oberflächenphysik.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Urbana, Herbst 1956: Robert Schrieffer kommt mit seiner Doktorarbeit über Supraleitung nicht voran und will das Thema wechseln. Sein Doktorvater John Bardeen bereitet sich auf die Reise zur Nobelpreisverleihung vor. Er überzeugt Schrieffer, weiter an dem Problem zu arbeiten. Ende Januar 1957 hat Schrieffer in der New Yorker U-Bahn plötzlich eine Idee. Ein paar Tage später berichtet er Bardeen in Urbana davon. Dieser ist sofort überzeugt und die beiden beginnen, zusammen mit Leon Cooper, fieberhaft zu rechnen. Zur traditionellen März-Tagung der amerikanischen Physiker berichten sie, dass die Supraleitung nach beinahe 50 Jahren im Wesentlichen verstanden ist. Die BCS-Theorie, wie sie bald genannt wird, überzeugt die Fachwelt sofort und erschließt die Supraleitung für die systematische Forschung. Der Nobelpreis 1972 ist die lange erwartete Anerkennung für diesen Durchbruch.
 
 Supraleitung — ein exotischer Zustand der Materie
 
Metalle leiten Strom, da die negativ geladenen Elektronen nicht alle an die positiv geladenen Atomkerne gebunden sind, sondern einige sich zwischen den regelmäßig in einem so genannten Kristallgitter angeordneten Atomen bewegen können. In einem gleichmäßigen Kristall könnte sich ein Elektron sogar vollkommen frei bewegen, zeigt die Quantenmechanik. Da es aber immer Unregelmäßigkeiten im Kristallbau und Schwingungen der Atome aufgrund der Wärmebewegung gibt, werden die Elektronen durch Zusammenstöße gebremst und erfahren einen elektrischen Widerstand. Der sollte jedoch bei tiefer Temperatur abnehmen, da dann die Wärmebewegung nachlässt.
 
Als er 1911 diesem Zusammenhang nachging, beobachtete der niederländische Physiker Heike Kamerlingh Onnes (Nobelpreis 1913) bei Quecksilber ein sprunghaftes Verschwinden des Widerstands bei einer bestimmten Temperatur, der Sprungtemperatur. Das Phänomen, das ebenso bei Blei und anderen Metallen auftrat, nannte er Supraleitung. Es existiert nur bei sehr tiefer Temperatur und wird auch durch Magnetfelder oberhalb eines »kritischen« Werts zerstört. Schwächere Felder können nicht in den Supraleiter eindringen, wie die deutschen Physiker Walther Meissner und Rudolf Ochsenfeld 1933 entdeckten. Dieser zusätzliche magnetische Effekt machte die Supraleitung vollends zu einem Rätsel, an dem sich einige Nobelpreisträger vergeblich versuchten.
 
 Der Isotopeneffekt und des Rätsels Lösung
 
Wie alle Grundlagenforschung kam auch die Arbeit an Supraleitern durch den Zweiten Weltkrieg zum Stillstand. Ironischerweise war es eine für militärische Zwecke entwickelte Technik, die später entscheidende Experimente ermöglichte: in Kernreaktoren konnten Isotope vieler chemischer Elemente hergestellt werden. Isotope eines Elements unterscheiden sich in der Zahl der Neutronen im Atomkern. Ihre chemischen Eigenschaften sind identisch, nicht jedoch ihre Massen. Kamerlingh Onnes hatte schon 1922 zwei Bleiisotope untersucht, aber mit der damaligen Messgenauigkeit keine Unterschiede gefunden. 1950 fand man bei Quecksilber eine Abnahme der Sprungtemperatur mit größerer Isotopenmasse. Als Bardeen telefonisch davon erfuhr, verstand er sofort: Da die Isotopenmasse lediglich die Schwingungen der Atome im Kristallgitter beeinflusst, mussten diese wichtig für die Supraleitung sein.
 
Bardeen verließ das Bell-Forschungslabor und wandte sich wieder (wie schon vor dem Krieg) der Supraleitung zu. Als Experten für die neuen Methoden der Quantenfeldtheorie engagierte er Leon Cooper vom berühmten Institute for Advanced Study in Princeton. 1956 fand Cooper, dass zwei Elektronen infolge einer durch das elastische Kristallgitter vermittelten Wechselwirkung eine Bindung miteinander eingehen können. Ein Modell für das Cooper-Paar sind zwei Menschen auf einer weichen Matratze: Die erste Person macht eine Kuhle, in die die zweite hineinrollt. Die Elektronenpaare im Supraleiter bewegen sich allerdings unaufhörlich, und zwar nicht wie Tanzpaare auf dem Parkett, sondern wild durcheinander, mit großen Abständen zwischen den Partnern. Der Einfluss der vielen anderen Elektronen auf jedes Paar machte Schrieffer die Probleme, die ihn an seiner Doktorarbeit zweifeln ließen. Seine ebenso einfache wie geniale Idee war es, gar nicht den genauen Zustand jedes einzelnen Elektrons zu berücksichtigen, sondern nur Durchschnittswerte. Da die Anzahl der beteiligten Elektronen sehr groß ist, spielen Abweichungen von den Durchschnittswerten fast keine Rolle.
 
Es zeigte sich, dass die Elektronen bei der Sprungtemperatur in einen neuartigen Zustand übergehen, in dem ihre Geschwindigkeiten nicht mehr zufällig verteilt, sondern geordnet sind. In diesem kollektiven Quantenzustand kann der Strom nicht mehr durch Zusammenstöße einzelner Elektronen gebremst werden. Die physikalischen Eigenschaften ergaben sich in nahezu perfekter Übereinstimmung mit dem Experiment.
 
 Weitere Entwicklung
 
Auf der Grundlage der BCS-Theorie konnte systematisch an technischen Anwendungen gearbeitet werden. Höhere Sprungtemperaturen und größere kritische Magnetfelder wurden erreicht. Manche Supraleiter gehorchen nicht ganz genau der BCS-Theorie, beispielsweise die 1985 von Georg Bednorz und Alexander Müller (Nobelpreis 1987) entdeckten keramischen Supraleiter, deren hohe Sprungtemperatur große Fortschritte bei technischen Anwendungen versprach. Leider sind aber die Eigenschaften dieser Materialien ungünstig für großtechnische Anwendungen. Die meisten Anwendungen der Supraleitung erfordern daher nach wie vor aufwendige Tiefkühlung mit flüssigem Helium. Trotzdem haben starke supraleitende Magnetspulen einen festen Platz in der Medizin (Kernspintomographie, Medizinnobelpreis 1979) und der physikalischen und chemischen Grundlagenforschung. Die Supraleitung kann auch dazu dienen, extrem kleine Magnetfelder zu messen, die beispielsweise durch Hirnströme hervorgerufen werden. Dies geschieht mithilfe eines 1962 von dem britischen Physiker Brian David Josephson (Nobelpreis 1973) aufgrund der BCS-Theorie vorhergesagten Effekts. Hoffnungen, mit supraleitenden Schaltelementen die Computertechnik zu revolutionieren, erfüllten sich nicht, da die konventionelle Transistortechnik schneller vorankam als erwartet. John Bardeen dürfte den Wettstreit dieser beiden von ihm entscheidend geprägten Technologien mit einem Schmunzeln beobachtet haben.
 
J. Stolze

Universal-Lexikon. 2012.

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